Milde Urteile gegen Neonazischläger – Statement zum vergangenen Prozess in Görlitz

Im Dezember 2024 greift eine Gruppe mit Pyrotechnik, Glasflaschen und Schlagschutzhandschuhen bewaffneter Neonazis mehrere Antifaschist:innen im sächsischen Görlitz an. In der Nacht kurz vor Weihnachten attackieren sie ihre Opfer von mehreren Seiten, schlagen und treten auf sie ein. Auch als eine Antifaschistin am Boden liegt, wird weiter auf sie eingetreten. Mehrere Opfer müssen im Krankenhaus behandelt werden. Der Angriff ist vorläufiger Höhepunkt einer Reihe neonazistischer Angriffe und Bedrohungen in Görlitz, immer wieder tauchen Neonazis vor Wohnhäusern ihrer Gegner:innen auf oder posieren vermummt vor dem lokalen Büro der LINKEN. Wer die Neonazi-Szene in Görlitz kennt, weiß wer sich an den Angriffen beteiligte.

Kurz nach dem Angriff ist der mediale Aufschrei groß. Die bundesweite Presse kommt nach Görlitz, spricht mit den Angegriffenen und die Strafverfolgungsbehörden stehen unter Druck, schnell die Täter zu präsentieren. Wenige Tage nach dem Angriff kommt es zur Durchsuchung mehrerer beschuldigter Neonazis. Als Haupttäter wird Finley Pügner, Anführer der Elblandrevolte ausgemacht. Er muss als einziger in Untersuchungshaft, auch weil gegen ihn noch eine ganze Reihe weiterer Strafverfahren wegen Körperverletzung und diverser Propagandadelikte laufen. Ein halbes Jahr später wird er aus der U-Haft entlassen noch bevor der Prozess beginnt.

Im Oktober 2025 dann die Überraschung: Aus der großen Gruppe Angreifer und vom Landeskriminalamt Durchsuchter stehen nur drei Neonazis vor Gericht: Finley Pügner, Timmy Schulz und Julian Nährich. Gegen die Anderen stellt die Staatsanwaltschaft die Verfahren ein. Am Tatort Teil einer Gruppe gewesen zu sein, die Menschen angreift, scheint für die Görlitzer Justiz kein strafbares Handeln zu sein. 

Vor Gericht wird es dann lächerlich. Finley Pügner, Vorzeigeneonazi, TikTok-Star und Held einer neuen Generation Neonazis, erscheint im Anzug und will jetzt liberal und gewaltfrei werden. Es folgen Tiraden von Entschuldigungen, Ausflüchten und widersprüchlichen Geschichten, mit denen die Neonazis versuchen, den Angriff herunterzureden. Ihr Narrativ: Sie hätten sich nur gegen angreifende Linke verteidigt und die Quarzsandhandschuhe hatte man nur zufällig oder zur Verteidigung dabei. Weitere Teile der Neonazi-Gruppe, die am Angriff im Dezember 2024 beteiligt war, sitzen in Zuschauerraum und scherzen mit Anwälten und Angeklagten rum. Angst vor hohen Strafen hat hier niemand. 

Interessant wird es bei Ronny Kreuziger. Der 40-jährige Neonazi fuhr mit seinem Auto zum Tatort, mit dabei war der damals 16-jährige Julian Nährich. Der sprang mit angezogenen Quarzsandhandschuhen aus dem Auto und griff von hinten an. Kreuziger floh kurze Zeit später vom Tatort. Seine Erklärung? Er war mit Nährich auf dem Rückweg von einer Weihnachtsfeier, kam nur zufällig am Tatort vorbei und wollte schlichten. Quarzsandhandschuhe sind in Görlitz wohl ein übliches Outfit bei Weihnachtsfeiern. Kreuzigers Lebensgefährtin, Nadja Nauen, war in der Nacht ebenfalls dabei. Auch sie verstrickt sich in ihrer Aussage in Widersprüche, darf obwohl sie später als Zeugin aussagen muss, bei den ersten Verhandlungstagen zuschauen. Bei ihr fand man bei der Hausdurchsuchung Kissen und einen Schwippbogen mit Hakenkreuzen. Einfluss auf die Wertung ihrer Aussage hatte ihre neonazistische Ideologie scheinbar nicht. 

Am Ende dann die Urteile:

Finley Pügner: 9 Monate, ausgesetzt auf Bewährung

Timmy Schulz: 8 Monate, ausgesetzt auf Bewährung

Julian Nährich: 500€ Spende an einen Verein und Teilnahme an einem Anti-Extremismus-Workshop

Die Art und Weise, auf die dieser Prozess geführt wurde, ist typisch für den Umgang sächsischer Justiz mit Neonazis und dennoch höchst problematisch. Wir beobachten die Tendenz, Strafverfolgung bei Neonazis stets so milde auszulegen, wie irgend möglich. Aus einem geplanten, bewaffneten Angriff aus einer Gruppe heraus, werden einfache Schläge oder Tritte von Einzelnen verurteilt. Der Gruppenzusammenhang wird ausgeblendet, lächerlich heuchlerische Entschuldigungen strafmildernd ausgelegt. Während bei Prozessen gegen Antifaschist:innen, etwa bei Antifa Ost, schon das Ausleihen eines Autos zur Unterstützung einer kriminellen Verinigung mit einer Haftstrafe verurteilt wird. Finley Pügner muss dagegen trotz Verstoßes seiner Haftentlassungs-Auflagen nicht zurück in Haft. 

Über die Gründe für den milden Umgang der sächsischen Justiz mit den Neonazis lässt sich nur spekulieren. Ein Grund ist sicherlich: Jeder durchschnittliche sächsische Richter oder Staatsanwalt fühlt sich den Neonazis, die vor ihm sitzen, am Ende immer näher als ihren Opfern. Das Gefühl als junger Mann „Ausländer“ und Frauen zu hassen und nach ein paar Bier sich dann auch mal zu trauen, zuzuschlagen, können sächsische Richter und Staatsanwälte verstehen, sie haben es schließlich selbst gefühlt als Teil elitärer rechter Burschenschaften oder haben zumindest ihre coolen rechten Vorbilder bewundert, die ihre Fantasien ausgelebt haben. Empathie für Opfer rechter Gewalt kann man dagegen lange suchen, auf diese wird herabgeblickt, sie sind immer irgendwie selbst schuld oder haben es doch auch irgendwie verdient. Dieses Muster erleben wir eigentlich bei jedem Prozess gegen rechte Täter, am Ende steht immer wieder diese Ernüchterung: Sie kommen doch mit allem halbwegs entspannt davon, und die Erzählunge ihrer Opfer werden angezweifelt.

Wir bleiben dabei – Solidarität mit allen Betroffenen rechter Gewalt. Neonazis muss entschlossen entgegengetreten werden, ihre Taten müssen aufgeklärt und entsprechend bestraft werden. Die sächsischen Strafverfolgungsbehörden werden dabei jedoch nur in Ausnahmefällen eine Hilfe sein.

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